Europa von Albanien bis Zypern – eine vergleichende Betrachtung


Ob es Zufall war, dass wir in diesem Jahr diese beiden Länder als Reiseziele hatten? Es sind die beiden Länder, die uns in unserem Europa-Reisepuzzle, das wir in über 40 Jahren zusammenfügten, noch fehlten.

Zypern ist seit vielen Jahren ein beliebtes Reiseziel; Albanien dagegen ein eher unbekanntes. Dabei hätten wir es bereits auf unserer Balkan-Türkei-Griechenland-Reise 1971 kennen lernen können, hätte es sich nicht total gegenüber Ausländern abgeriegelt. Enver Hoxha hatte 1967 Albanien zum ersten atheistischen Staat erklärt, jede Religionsausübung verboten und alle Kirchen und Moscheen geschlossen.

Die beiden Länder haben in ihren Geschichten sehr viele Parallelen bis etwa 1860, dann gibt es sehr unterschiedliche Entwicklungen, die bis in die Neuzeit wirken.
Zypern ist schon EU-Mitglied, Albanien hat einen Aufnahmeantrag gestellt, weil es geografisch, kulturell und politisch ein europäisches Land ist, wirtschaftlich aber sicher noch eines der ärmsten Länder Europas.

Wo liegen die Gemeinsamkeiten?

Die zypriotische Urbevölkerung wurde schon ca. 600 v.Chr. griechisch beeinflusst, ähnlich ging es den Illyren, sie vermischten sich mit den Griechen und übernahmen deren Kultur.
In beiden Ländern gibt es aus dieser Epoche bis etwa 200 v.Chr. beeindruckende Ausgrabungen (z.B. Salamis, Paphos und Byllis, Appolonia). Danach wurden die Insel und die Adriaregion römische Kolonien mit den entsprechenden Weiterentwicklungen der Kulturen.
Dass Paulus Zypern auf seinen Missionsreisen bereiste ist belegt, dass er auch in Albanien war, wird vermutet, denn in der Hafenstadt Durres haben viele Schiffe angelegt, die von hier die Adria überquerten nach Italien in Richtung Rom. Die berühmte Via Egnalia von Rom nach Konstantinobel (Byzanz) führte durch Albanien nach Thessaloniki.

Nach der Verlagerung des Kaisersitzes von Rom nach Konstantinopel gerieten beiden Länder unter den Einfluss Ostroms /Byzanz. Appolonia , Byllis waren ebenso frühe Bischofssitze wie Paphos, die ausgegrabenen Basiliken in Byllis zeugen mit herrlichen Mosaiken von der hohen Kultur in der Epoche bis etwa 600 n. Chr. Dann wurde Zypern von nord-afrikanischen Stämmen überfallen und beraubt, Albanien von den aus Norden kommenden Slaven/Serben. Danach konnten die Byzantiner wieder die beiden Länder unter ihren Einfluss bringen, was sich in frühen byzantinischen Kirchbauten aus dem 10./11. Jahrh. ablesen lässt.
Albanien geriet danach unter bulgarischen Einfluss, dessen Großfürsten zur Adria drängten.Zypern wurde als Stützpunkt der seefahrenden Venetiern und Genuesen ausgebaut, ebenso besetzten die Venetier auch Albanien.
Danach folgten die Kreuzritter, die auf dem See- und Landweg ins Hl. Land drängten.Nach der verlorenen Schlacht um Byzanz dehnten die Osmanen ihre Macht nach Zypern und auf dem ganzen Balkan bis kurz vor Wien aus. Die Osmanen förderten den Islam, verboten aber die Ausübung der christlichen Religion nicht. Kuppelbauten waren aber den Moscheen vorbehalten, Kirchen wurden zu Moscheen umgewandelt.

Aber in abgelegenen Tälern des Troodos-Gebirges auf Zypern entstanden die farbenfroh ausgemalten „Scheunendach-Kirchen“, deren Kuppeln unter Scheunendächern versteckt wurden. Sie gelten als Weltkulturerbe.
Wie überrascht waren wir, auch in Albanien in den Gebirgstälern nahe Korca (südlich des Ohridsees) eine stattliche Zahl solcher Kirchen zu finden. Allein im Dorf Voskopoje gibt es 7 solcher ausgemalten Kirchen, leider in sehr schlechtem baulichen Zustand.

Als Mitte des 19 Jhh. die Osmanen zurück gedrängt wurden, enden die Parallelen der beiden Länder.
Zypern wurde 1860 englische Kolonie; Englisch wurde Amtssprache und die griechisch- und türkisch-sprachische Bevölkerung lebte in Koexistenz miteinander. In zahlreichen Dörfern und Städten gab es Kirchen und Moscheen nebeneinander. Die Insellage bewirkte eine gewisse Abgrenzung zu den „Mutterländern“, wobei sich die meisten Bewohner als Zyprioten fühlten.
Diese Periode dauerte bis 1960. Weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg gab es in Zypern kriegerische Handlungen.

Die Unabhängigkeit der Insel 1960 war nur mit umfangreichen Rechten für die türkisch sprechende Minderheit zu bekommen, was der Militärjunta in Griechenland und der griechischen Bevölkerungsmehrheit ein Dorn im Auge war, so dass sie versuchten, dies zu verändern. Die Spannungen nahmen zu, bis schließlich das türkische Militär den kurzen Seeweg für einen Überraschungs-coup nutzte und den Nordteil der Insel besetzte – es kam zu einer strengen Teilung der Insel und zu Zwangsumsiedlungen. Kirchen wurden im Norden geplündert und zweckentfremdet, im Süden Moscheen geschlossen und dem Zerrfall preisgegeben. Erst seit 2003 ist die Grenze etwas durchlässig geworden.
Im Südteil gilt der Euro im Norden die türkische Lira – Die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei sind auch Ursache für hohe Militärausgaben und damit Teil des griechischen Verschuldungsproblems. Es gibt erste Annäherungen.

In den Balkankriegen 1856/57 spielten albanische Politiker noch eine untergeordnete Rolle, denn es gab noch kein Albanien. Die Albaner einte nur ihre Sprache, die aber bis zu dieser Zeit noch in keinem Lehrbuch erfasst war. Erstmals 1852 wurde ein Buch in albanischer Sprache gedruckt. Die albanischen Sprachgebiete gehörten teils zur Österreich-ungarischen Monarchie, teils zu Griechenland. Als es dann vor dem ersten Weltkrieg und nach den Balkankriegen 1912/13 zu Neuordnungen auf dem Balkan kam, wurden die Grenzen für einen Staat Albanien gezogen. Die Großmächte Russland, Österreich, England wollten vor allem verhindern, dass Serbien einen Zugang zur Adria erhält, so entstanden Montenegro und Albanien.
Zum ersten Monarchen Albaniens wurde ein deutscher Fürst (von Wied) berufen, der aber schon nach wenigen Monaten flüchten musste. Machtkämpfe erschwerten den Aufbau des Staates. Der spätere selbst ernannte König geriet unter den Einfluss des faschistischen Italiens, bis Italien 1940 Albanien besetzte. 1944 musste sich die italienische Armee zurück ziehen, so dass die schon in heftige Kämpfe verwickelten deutschen Besatzungstruppen auf dem Balkan auch noch Albanien besetzten. Denkmäler an Massaker der deutschen Wehrmacht in Folge von so genannten Partisanenüberfällen erinnern an diese schlimme Zeit.

Einer der albanischen Militärführer war Enver Hoxcha, der auch die ersten Parlamentswahlen gewann. Aber statt eine Demokratie aufzubauen, entwickelte er eine strenge stalinistische Diktatur. Nach dem Tod Stalins brach er mit Russland, trat aus dem Warschauer Pakt aus und suchte die Unterstützung von Maos China. Bis China dann auch nach der Kulturrevolutíon die Unterstützung reduzierte. Da Hoxcha auch immer einen Überfall Jugoslawiens fürchtete, war das Land absolut isoliert. Dass dieser Diktator eine Überfall-Phopie gehabt haben musste, lässt sich heute an den unzähligen Bunkern im ganzen Land erkennen; sie stehen in allen Himmelsrichtungen potentiellen Feinden entgegen.

Die willkürliche Grenzziehungen von 1912 haben dazu geführt, dass in Albanien heute nur geringe Minderheiten leben, aber in den Nachbarländern, v.a. im Kosovo und Mazedonien (FYROM) große albanisch sprechende Gruppen. Die lange Abschottung und die einheitliche Sprache lassen heute Albanien als sehr einheitliches Land erscheinen.
Wegen des absoluten Religionsverbotes der Hoxcha-Zeit stehen auch alle Religionen vor einem Neuanfang.

Während in Zypern die kriegerischen Auseinandersetzungen auch zwischen den Religionen geführt wurden, scheint der religiöse Neubeginn in Albanien friedlich zu verlaufen.

Möglicherweise liegt dies auch daran, dass die Mehrheit der Albaner (70 %) dem Islam zurechnet werden, aber einer sehr liberalen Richtung, den Bektaschi.
Der Bektaschi-Orden entstand schon im 13 Jhh. Der Orden verbreitete sich auf dem ganzen Balkan. Als der Orden 1925 in der Türkei verboten wurde, war Albanien das neue Zentrum, dieser undogmatischen, unorthodoxen Religionsausübung. Allerdings wurden während der Balkankriege 1912/13 in Südalbanien fast alle Tekke (= Gottesdiensträume) von den Griechen zerstört. Nach dem Ende des Kommunismus gab es nur noch 5 als Tekke nutzbare Gebäude! Während dieser Zeit hatte der Orden in den USA überlebt. 2003 konnte das Weltzentrum der Bektaschi wieder nach Tirana verlegt werden.
Die orthodoxen Christen bauen ebenfalls wieder als autokephale Kirche Albaniens eine große Kuppelkirche im Zentrum Tiranas. In Permet konnten wir eine zwischenzeitlich als Kino genutzte orthodoxe Kirche besichtigen. Auch die Sunniten errichten neue Moscheen, Frauen mit Kopfbedeckungen haben wir aber sehr selten gesehen.
Über unsere sehr schöne Erfahrung beim Pfingstgottesdienst in der neuen katholischen Kathedrale von Tirana habe ich bereits in meinem Reisebericht geschrieben.
Auf der Marktstraße des Kirchentages entdeckten wir einen Stand des Christlichen Hilfsvereins Wismar, der Dörfern im Osten Albaniens Kinder beim Schulunterricht unterstützt und andere Hilfsprojekte initiiert. So gibt es jetzt dort eine methodistische Gemeinde.

Albanien erscheint heute als ein religiös sehr tolerantes Land, in dem unterschiedliche Religionen friedlich ausgeübt werden können. Ob nur neben- oder auch miteinander konnten wir in der Kürze unserer Reise und aufgrund der mangelnden Sprachkenntnissen nicht erkennen.

Vielleicht ist es das, was Albanien in die EU einbringen kann, eine tolerante Ausrichtung der islamischen Lehre und ein friedliches Miteinander der christlichen Kirchen mit islamischen Glaubensausübungen. In Albanien wurden die Religionen so unterdrückt wie in keinem anderen europäischen Land. Wenn aber Religionen sich den Menschen zuwenden, ihr menschenfreundliche Gesichter zeigen, haben sie eine Zukunft.
In Albanien wird nach unserem Eindruck die These Hans Küngs bestätigt: „ Nur wenn sich die Christenheit , und insbesondere die katholische Kirche erneuert, lässt sich der gegenwärtige Verlust der Religiosität schon im Elternhaus überwinden, der Gottesdienstbesuch wieder steigern und die Prägekraft der Religion im Alltag…. wiedergewinnen.“ („Was ich glaube“, Seite 138)

Welche Länder gehören zum „christlichen Abendland“? Nur die römisch-katholisch und lutherisch reformierten Staaten?

Albanien hat mehr als 2000-Jahre alte europäische Wurzeln. Das Stadtbild Tiranas wird geprägt von modern-westlich gekleideten jungen Menschen – es wirkt wie eine südeuropäische Großstadt.
Albanien gehört wie Zypern zu den Ursprungsländern europäischer Kultur, deren Zeugnisse an vielen Stellen zu bewundern sind.
Der zunächst in Trier wirkende spätere römische Kaiser Konstantin förderte mit seiner Mutter Helena die Ausbreitung des Christentum. Er verlegte seinen Regierungssitz von Rom ins heutige Istanbul, das damals den Namen Konstantinobel erhielt. Die großartige Hagia Sofia ist Zeugnis dieser Epoche. Den Einfluss der orthodoxen Kuppelkirchen finden wir auch in allen westeuropäischen Ländern (z.B. Pfalzkapelle in Aachen), sie belegen, dass orthodoxe Christen Teil eines europäischen Christentums sind.

Diese Vielfalt im Glauben an einen menschenfreundlichen Gott scheint in Albanien wieder aufzublühen; in Zypern gibt es leider noch immer Glaubenskämpfe.

Die Reisen in diese beiden Ländern haben mir wie im Zeitraffer die Geschichte Europas an vielen Beispielen in Erinnerung gebracht und in mir die Hoffnung gestärkt, dass es trotz der aktuellen Krisen gelingen kann, Europa, einschließlich der Balkanländer, zu dem werden zu lassen was es ist, ein einheitlicher Kulturraum in dem viele Völker mit sehr unterschiedlichen Sprachen friedlich zusammen leben können. Demokratie und friedliche Problemlösungen sind die tragenden Gedanken der europäischen Vereinigung, denn nur so können kriegerische Auseinandersetzungen vermieden oder überwunden werden (z.B. in Belgien, Zypern oder im Kosovo).

Dr. Erwin Kreim